30 deutsche Juristen warten das noch im Sommerloch vom Bundestag zu formulierende und durchzupeitschende neue Begleitgesetz zur EU-Verfassung gar nicht erst ab. Sie ignorieren das Lissabon-Urteil des BVerfGs schlichtweg und kehren es zu Gunsten der EU um. Natürlich mal wieder "ökonomisch" begründet ("drohende Finanzsanktionen"...).
Soviel also zum vom BVerfG in seinem Urteil vom 30. Juni 2009 so medienwirksam postulierten Vorrang des BVerfGs vor dem EuGH und soviel zur wohlklingenden (aber offenbar wertlosen) Forderung nach "oberster Integrationsverantwortung des BVerfGs"!
Man beachte auch das Wording im ersten Satz:
"Künftig soll der Gesetzgeber das BVerfG darauf verpflichten"... Wie war das im Staatsrecht noch mit der Gewaltenteilung? "Die Legislative wird von der Judikative kontrolliert". So in etwa steht das doch in den altehrwürdigen Lehrbüchern seit der Aufklärung. Und nun fordern ausgerechnet deutsche Bütteljuristen via Spiegel das glatte Gegenteil und damit die Abschaffung der seit Montesquieu bewährten Basis des Rechtsstaats!?! Wo bleibt der Aufschrei der noch nicht korrumpierten Juristen?Hochrangige Juristen fordern Einschränkungen des Bundesverfassungsgerichts [sic!]
http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,641250,00.html
Künftig soll der Gesetzgeber das Bundesverfassungsgericht darauf verpflichten, Verfahren zu europarechtlichen Fragen zuerst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorzulegen; das fordern 30 Juristen, vor allem hochrangige Hochschullehrer und Richter. Hintergrund für die von ihnen verfasste Denkschrift ist das Urteil des Verfassungsgerichts zum EU-Vertrag von Lissabon. Dem entnehmen die Unterzeichner, dass das Verfassungsgericht bereits in Kürze "auf einen Justizkonflikt mit dem EuGH zusteuert". Die Folgen einer solchen Konfrontation wären aus Sicht der Juristengruppe "außerordentlich fatal": Denn die EU-Kommission müsste in diesem Fall ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten - und das dann zu erwartende Urteil des EuGH wäre "mit einschneidenden Finanzsanktionen" verbunden. Die Zahlungen hätte Deutschland sogar "dauerhaft zu entrichten", da der Gesetzgeber an der Entscheidung des Verfassungsgerichts nichts ändern könne. Der drohende Justizkonflikt ließe sich deshalb nur entschärfen, indem das Verfassungsgericht gesetzlich dazu verpflichtet wird, die Verfahren vor der eigenen Entscheidung beim EuGH vorzulegen. Unterzeichnet wurde die Denkschrift unter anderen von den beiden Bevollmächtigten des deutschen Bundestags im Lissabon- Verfahren, den Juraprofessoren Ingolf Pernice und Franz Mayer.
In "Nicht im Namen des Volkes" bzw. im Smart Investor 8-2009 hatte ich erst jüngst geschrieben http://www.goldseiten.de/content/diverses/artikel.php?storyid=11122&seite=1 :
" 2. Vertragshoheit und Gerichtshierarchie
Theorie: Das BVG reklamiert die Vertragshoheit und die "oberste Integrations-verantwortung" für sich - und sieht sich hierarchisch über dem EuGH.
Realität: Das widerspricht direkt dem Lissabon-Vertrag, der aber zugleich passieren darf. Keine Chance auf Verwirklichung, denn das würden sofort auch 26 andere Länder fordern und Lissabon wäre damit de facto tot. Das BVG hat nicht einmal einen völkerrechtlichen Vorbehalt für seine Interpretation des Lissabon-Vertrags gemacht! Die EU und der EuGH sind somit weiterhin frei, ihre Interpretation durchzusetzen. Das BVG hat noch nie ein Urteil des EuGH aufgehoben (noch dies je versucht). Und der EuGH hat noch nie einer EU-Richtlinie widersprochen und diese somit aufgehoben.
Die bis heute mangelhafte Existenz-Legitimation des EuGH wird (obwohl expliziter Inhalt der Schachtschneider-Klageschrift) im BVG-Urteil nicht einmal adressiert. EuGH-Entscheidungen hatten in den vergangenen Jahrzehnten immer Vorrang vor nationaler Rechtssprechung. Aktuell ist mit der Vorratsdatenspeicherung wieder eine wichtige EU-Richtlinie auf dem Prüfstand des BVG: Man darf gespannt sein, ob das BVG nach seiner Jahrzehnte-alten "Nullhistorie" einmal den Mut hat, ein klar GG-widriges EU-Gesetz zu kassieren. Dieser Lackmustest des neuen BVG-Anspruchs steht schon im Sommer an... "
=> Der im Spiegel genannte "Justizkonflikt des BVerfGs mit dem EuGH" ist in der Tat real. In meinem Artikel habe ich daher nicht zufällig das Lissabon-Urteil des BVerfGs als die "Quadratur des Kreises" bezeichnet! Aber die hier von den "Juristen" geforderte komplette Entmachtung des BVerfGs kann keinesfalls die Lösung des Dilemmas sein!
=> Ohne völkerrechtlichen Vorbehalt für die Interpretation des BVerfGs ist das ganze Lissabon-Urteil nichts wert. Mal sehen, ob die EUliten-hörigen deutschen Parteien wenigstens DIES in den kommenden Wochen ins Begleitgesetz bringen werden.
=> Und beim oben ebenfalls genannten anstehenden Urteil zur Vorratsdaten-speicherung kann das BVerfG zeitnah beweisen, ob es WIRKLICH noch eine Existenzberechtigung hat oder ob es sich gleich kampflos dem EuGH zu ergeben gedenkt. Denn ein Gericht, das verpflichtet ist, seine Fälle ZUERST dem EuGH zur (unzweifelhaft nicht überstimmbaren!) "Vorabprüfung" vorzulegen, kann sich genausogut selbst abschaffen.